Exkursion der Philosophiekurse des SMG in die KUNSTHALLE Mainz anlässlich des UNESCO-Welttags der Philosophie 2021

1,5 m Abstand = 1 Pony  — Haltet, wo es geht, Abstand.

„Ein Pony Abstand halten“ – am Berliner Hauptbahnhof wird humorvoll mit einem Thema umgegangen, welches unser aller Alltag beeinträchtigt.


Seit dem Ausbruch der weltweiten Corona-Pandemie vor nun schon fast genau zwei Jahren, haben wir Quarantäne, Isolation und Reduzierung jeglicher sozialer Kontakte erlebt. Sobald wir aus dem Haus gehen, werden wir konfrontiert mit Bahnhofsdurchsagen und Leuchtschrift, die auf die Abstands- und Maskenpflicht hinweisen, und bei jeder Begrüßung ist man sich wieder unsicher, ob es legitim ist, die Hand zu geben, sich mit dem Ellenbogen oder der Faust anzustupsen oder sich doch nur lieber aus sicherer Entfernung zuzunicken. Ans Umarmen wird nicht einmal mehr gewagt zu denken.

„Eins Komma Fünf“ – unter diesem Thema lief die Ausstellung in der KUNSTHALLE Mainz, welche die Philosophie-Kurse der Oberstufe am 21.12.2021 besuchten.

Durch künstlerische Arbeiten über körperliche und emotionale Beziehungen wurde sich mit dem Thema des Abstandes und seiner Vielschichtigkeit auseinandergesetzt.

Zuerst stellten wir uns die Frage, wie Abstand oder auch Distanz und Nähe unser Leben beeinflussen.

Dazu hielt die Philosophieprofessorin Annika Schlitte einen interaktiven Vortrag, der uns Schüler:innen auf die Ausstellung einstimmen sollte.

Wir sprachen verschiedene Szenarien durch, zum Beispiel das philosophische Gedankenexperiment „Kind im Teich“ von Peter Singer.

In diesem wird eine Situation aufgebaut, bei der du an einem Teich vorbeikommst, in dem ein Kind gerade am Ertrinken ist. Niemand von uns würde einfach weitergehen. Wir würden höchstwahrscheinlich, ohne lange zu überlegen, hineinspringen und das Kind retten – ungeachtet möglicher Konsequenzen, wie zum Beispiel ruinierter Kleidung oder verpasster Termine.

Anders verhält es sich mit einer Spendenanfrage, die per Post dazu aufruft, mit 10 Euro ein Kind in Afrika vor dem Hungertod zu retten. Dabei tendieren wir nicht zum sofortigen Handeln.

Woran liegt das? Daran, dass das Kind in Afrika viele Kilometer von uns entfernt ist und damit weiter als das Kind im Teich?

Doch an dieser physischen Distanz kann es nicht allein liegen.

Bei einem anderen Szenario, in dem ein guter Freund von uns auf einer Safari in Afrika dringend Geld für Medizin benötigt, da sein Sohn tödlich verwundet wurde, würde wohl niemand von uns zögern, das Geld zu überweisen.

Distanz und Nähe ist also nicht nur mathematisch mit einem Zollstock messbar, sondern vor allem fühlbar.

Somit gibt es einen Unterschied zwischen physischer und mentaler Distanz, wobei doch beide irgendwie miteinander verknüpft scheinen.

Die „Army of Love“, eine Künstlergruppe, die sich mit den Beziehungen von Menschen untereinander und dem Aspekt der Berührung in diesen auseinandersetzt, stellte anhand von Videos und kleineren Aufgaben Möglichkeiten dar, wie man sich nah sein kann, ohne sich direkt anfassen zu müssen. Ganz „corona-like“ war dabei die Aufgabe, einander still in die Augen zu sehen. Ohne Berührungen schaffte man so eine gefühlte Nähe untereinander.

Auch Franz Erhard Walter setzte sich Mitte des 19. Jahrhunderts schon mit der Frage auseinander, wie menschliche Beziehungen und der Aspekt des Abstandes miteinander zusammenhängen.

Mit Hilfe von Stoffbändern und Leinensäcken durften wir, seiner Anleitung folgend, erforschen, wie wir uns selbst in Gruppen bewegen und auf andere Menschen reagieren.


Durch ein Leinentuch verbunden bewegten sich vier Personen durch den Raum und mussten, ohne zu reden, sich aufeinander abstimmen und absprechen, in welche Richtung und wie schnell sie sich bewegten.

Bei einem anderen Experiment stand jeder in seinem eigenen Leinensack. Um sich im Raum neu zu platzieren, sollte man zuerst aus dem Sack aussteigen und dann an seinem neuen Platz den Sack wieder über die Füße ziehen.

Diese Taktiken hören sich vielleicht zunächst etwas seltsam an, doch sie zeigten uns, wie wir uns in Gruppen verhalten.

Stehe ich am Rand oder doch lieber in der Mitte? Wechsle ich gerne den Platz oder bleibe ich an einem Ort? Wem drehe ich den Rücken zu und wen behalte ich im Blickfeld? Wem folge ich? In wessen Nähe fühle ich mich wohl und wo fühle ich mich eher unwohl?

Alles Fragen, die unser Verhalten in unserem Alltag enorm beeinflussen, doch über die wir eher selten nachdenken.

Was bedeutet es nun für eine Gesellschaft, ohne physische Kontakte zu funktionieren?

Wir wissen, dass wir alle von Berührungen leben.

Schon das kindliche Immunsystem wird durch solche überhaupt erst aufgebaut.

Wir lernen, welche Berührungen angenehm und wohltuend sind, zum Beispiel eine herzliche Umarmung, ein Kuss oder das Einkuscheln in ein warmes Bett. Und welche Berührungen unangenehm oder sogar unangemessen sind, zum Beispiel eine Ohrfeige oder der Griff an ein heißes Ofenblech. Wir lernen, welche Nähe uns Sicherheit gibt, zum Beispiel die Nähe zu einer geliebten Person, die unser Vertrauen hat, und welche Distanz uns schützt, zum Beispiel die Distanz zu Feuer oder einer schnell befahrenen Straße.

Doch was macht es mit uns, wenn auf einmal das gesamte Gelernte auf den Kopf gestellt wird? Wenn die Nähe zu geliebten Personen auf einmal schädlich oder sogar lebensgefährlich wird?

Wie gehen wir mit der verordneten Distanz um?

Die Ausstellung half uns dabei, den Aspekt des Abstandes und dessen Auswirkungen auf unser alltägliches Handeln und unsere Entscheidungen neu zu erforschen und zu entdecken.

Wir fanden unsere persönlichen Antworten und neue Fragen. Was jedoch das Wichtigste ist: Uns wurde wieder neu bewusst, welchen Einfluss Nähe und Distanz auf unser Leben haben – und vielleicht können wir mit diesem erweiterten Bewusstsein in Zukunft unser Handeln und unsere Entscheidungen besser nachvollziehen und kontrollieren. Vielleicht schaffen wir es, gefühlte Distanzen zu überwinden und Nähe zu schaffen, wo diese gebraucht wird und gut tut.

Denn eines ist sicher: Wir alle brauchen Nähe zu anderen Menschen, um ein gesundes und zufriedenes Leben zu führen.

 Josephine Amelie Wendland, in Zusammenarbeit mit Aydan Sena Keskin