Eine Lüge und ihre Folgen

„Jakob der Lügner”, ein Roman von Jurek Becker, der 1969 veröffentlicht wurde, hat mich als Jugendliche schon sehr beeindruckt und eigentlich mein ganzes Leben lang nicht losgelassen. Beim ersten Lesen ist man auf die Geschichte Jakobs konzentriert. Beim Wiederlesen habe ich Neues und anderes entdeckt: Die interessante Erzählweise thematisiert auf einer zweiten Ebene die Schwierigkeit vom Erzählen des Unsagbaren und das schwere Schicksal des Überlebenden.

Die Rezensionen der 10a sollen Sie neugierig machen, diesen „Klassiker” noch einmal oder zum ersten Mal zu lesen. Wir haben aus 28 Rezensionen 6 ausgewählt, die uns besonders angesprochen haben. Die Rezensionen sind in einer Doppelstunde in der Schule entstanden gegen Ende einer Unterrichtsreihe zum Roman „Jakob der Lügner”.

U. Pfrengle (für die Klasse 10a)


Rezension 1: „Jakob der Lügner” von Jurek Becker

Der Roman „Jakob der Lügner”, welcher 1969 von Jurek Becker veröffentlicht wurde, behandelt die Situation der Juden in einem Ghetto.

Jakob Heym, die Hauptfigur des Romans, lebt gemeinsam mit vielen anderen Juden in einem Ghetto, in dem es strenge Regeln gibt. Unter anderem ist es Pflicht für die jüdischen Ghettobewohner, nach 20:00 Uhr in ihren Wohnungen zu bleiben.

Eines Abends wird Jakob von einem deutschen Soldaten in das sogenannte „Revier” geschickt, um sich eine „gerechte” Bestrafung für das Brechen dieser Regel abzuholen. Der Aufenthalt Jakobs im „Revier”, aus dem vor Jakob noch kein Jude lebend herausgekommen ist, spielt im Roman eine sehr große Rolle, weil Jakob durch eine offen stehende Tür die Töne eines Radios vernimmt. Dadurch erfährt er, dass russische Truppen sich etwa zwanzig Kilometer von Bezanika aufhalten. Erfreut stellt er fest, dass Bezanika nicht allzu weit von seinem Aufenthaltsort entfernt liegt und schöpft Hoffnung auf baldige Befreiung.

Diese Neuigkeiten muss er kurze Zeit später auf der Arbeit gezwungenermaßen seinem Kollegen Mischa mitteilen, um diesen vor einem riskanten Vorhaben zu bewahren. Als dieser ihn jedoch fragt, woher er diese Informationen habe, und Jakob als Notlüge erzählt, dass er ein Radio besitzt, nimmt das Unheil seinen Lauf. Nur kurze Zeit später ist die Neuigkeit im Ghetto bekannt. Jakob trägt die Hoffnung der Ghettobewohner in seinen Händen, doch diese große Verantwortung wird bald zu einem schweren moralischen Dilemma für ihn werden…

Der Roman ist sehr gut geeignet für Schüler:innen und Lehrer:innen sowie für Eltern und Menschen, die sich allgemein für die Lebenssituation der Juden im Dritten Reich interessieren, da man darüber, auch vermittelt über die Lebensgeschichten verschiedener Figuren, sehr viel erfahren kann.

Ich persönlich finde, dass das Buch sehr angenehm zu lesen war. Teilweise gibt es Passagen, in denen man mehr über den Erzähler der Geschichte etwas erfährt, da dieser auch eine besondere Rolle spielt. Er erzählt die Geschichte größtenteils aus seiner Sicht, was mir als Leser sehr gut gefällt, da es auf mich so wirkt, als würde er mir die Geschichte erzählen und direkt zu mir sprechen.

Abgesehen davon finde ich es gut, dass die Erzählung aus der Perspektive der im Ghetto lebenden Juden geschrieben worden ist, da man als Leser so einen ganz neuen Blickwinkel erfährt. Auch innerhalb der Erzählung wird nicht ausschließlich Jakobs Geschichte erzählt, sondern es wird auch ein Einblick in das Leben anderer Figuren gegeben, was mir persönlich sehr gut gefällt.

Ein weiteres großes Thema im Roman ist Jakobs moralisches Dilemma, da er einerseits den Ghettobewohnern keine Lügen erzählen will, ihnen die Hoffnung aber auch nicht nehmen kann. Gerade wenn man sich damit intensiv auseinandersetzt, stellt sich heraus, wie tiefgründig das geschilderte moralische Dilemma eigentlich ist. Sobald man sich dann in Jakobs Lage hineinversetzt, versucht man meist herauszufinden, was man selbst in seiner Situation getan hätte, und baut so eine Art Bindung zu dem Roman sowie zu Jakob auf.

Ich kann es stark weiterempfehlen, den Roman zu lesen, da man einiges über die Zeit des Nationalsozialismus lernt, was man in Geschichtsbüchern nicht in dieser Form finden würde.

Da man viel über die Figuren sowie ihren Lebensalltag erfährt, lernt man ihre Lebenssituation auf einer anderen, eher moralischen Ebene kennen. Dies ist meiner Meinung nach effektiver, um nachhaltig etwas über diese Zeit zu lernen, und – abgesehen davon – macht es sehr viel Spaß, das Buch zu lesen 

Paula Bleses (10a)


Rezension 2: „Jakob der Lügner” von Jurek Becker

Der Roman „Jakob der Lügner” von Jurek Becker, der 1969 erschienen ist, spielt in der Zeit des Nationalsozialismus in einem fiktiven Ghetto.

Ein namenloser Ich-Erzähler erzählt den Lesern die Geschichte des Juden Jakob Heym: Jakob hört zufällig in einem Radio von dem Vormarsch der Roten Armee. Während einer Aktion seines Freundes Mischa, die tödlich für diesen enden könnte, erzählt Jakob seinem Freund von dieser erfreulichen Neuigkeit. Um die ganze Geschichte glaubwürdiger zu gestalten und Mischa von seiner waghalsigen Idee schlussendlich abzuhalten, fügt er noch hinzu, dass er ein Radio besitze. Die Information verbreitet sich schnell unter den Ghettobewohnern und bald kommen täglich mehrere Personen zu Jakob, um die neusten Nachrichten zu erfahren. Jakob verliert immer mehr die Kontrolle über seine anfängliche Lüge und denkt sich gezwungenermaßen neue Informationen aus. Diese geben den Menschen um ihn herum Hoffnung und machen ihnen Mut. Jakob hingegen ist einer immer größeren Belastung ausgesetzt. Wie lange kann er die Lüge aufrecht erhalten?

Der Autor des Werkes, Jurek Becker, war auch Jude und wuchs in seiner Kindheit selbst im Ghetto von Lodz (Polen) auf. Später wurde er sogar in die Konzentrationslager Ravensbrück und Sachsenhausen deportiert. Mit seinem Vater zusammen überlebte er den Krieg und veröffentlichte über 20 Jahre später seinen Roman „Jakob der Lügner”. Da er seine gesamte Kindheit in einem Ghetto verbracht hatte, wusste er von den Umständen, die dort geherrscht haben, und hat einen engen Bezug zum erzählten Geschehen.

Der Roman „Jakob der Lügner” ist in meinen Augen auf jeden Fall lesenswert und das Thema, das der Roman aufgreift, nämlich wie das Leben der Juden in einem Ghetto ablief und was Hoffnung alles bewirken kann, ist auch heutzutage noch sehr wichtig. Man darf diese Zeit auf keinen Fall vergessen, da sie einerseits zur deutschen Geschichte gehört, anderseits immer eine Erinnerung daran sein sollte, was nicht mehr passieren sollte und darf.

Anfangs brauchte ich ein bisschen, um in das Buch und den Schreibstil des Autors hineinzufinden, aber dann war es wirklich spannend weiterzulesen und zu erfahren, was am Ende letztendlich passiert. Der Text ist auch sehr bewegend und gibt einen etwas anderen Einblick, wie es den Menschen bzw. Juden in einem Ghetto während dieser Zeit ging.

Im Roman stehen, im Gegensatz zu vielen anderen Werken über den Nationalsozialismus und die Judenverfolgung, die Schreckensbilder nicht so sehr im Vordergrund. Das ermöglicht den Lesern, mehr Aufmerksamkeit auf die alltäglicheren Dinge in dem Ghetto, aber eben auch auf die Lüge Jakobs und deren Folgen zu legen.

Außerdem fand ich gut, dass die Geschichte nicht von einer spektakulären und großen Widerstandsaktion handelt, sondern, dass es die Lüge um das Radio gibt, die den Ghettobewohnern in einer anderen Weise Hoffnung gespendet hat. Dadurch wirkt das Buch sehr authentisch, weil es leider in den wenigsten Ghettos zu wirklich großem Widerstand gekommen ist mit Ausnahme des Aufstandes im Warschauer Ghetto.

Abschließend würde ich sagen, dass man das Buch „Jakob der Lügner” auf jeden Fall einmal in seinem Leben gelesen haben sollte.

Das Thema ist extrem wichtig und der Roman gibt Einblicke in das Leben im Ghetto, die man so vielleicht noch nicht erfahren hat. Ich finde es auch schön zu erfahren, was ein bisschen Hoffnung mit im Grunde genommen hoffnungslosen Menschen macht.

Lisa Grasmück (10a)


Rezension 3: „Jakob der Lügner” von Jurek Becker

Der Roman „Jakob der Lügner”, von Jurek Becker verfasst und 1982 vom Verlag Suhrkamp veröffentlicht, handelt von dem Juden Jakob Heym, welcher in einem fiktiven Ghetto lebt und durch eine Lüge Hoffnung stiftet.

Im Roman wird das Leben einiger Juden in einem fiktiven Ghetto beschrieben, wobei große Teile des Romans aus der Sicht Jakobs erzählt werden. Dennoch gibt es hin und wieder Abschnitte mit einem namenlosen Erzähler, der vermutlich ein Freund Jakobs ist und die Geschehnisse von außen erzählt. Die Umstände im Ghetto sind sehr ähnlich zu denen in den zahlreichen Ghettos, die es im Osteuropa während des 2. Weltkrieges gab, insbesondere hinsichtlich der Behandlung der Juden durch die deutschen Besatzer. Ein Beispiel im Roman dafür ist eine der ersten Szenen, in welcher Jakob sich eine halbe Stunde vor Beginn der streng kontrollierten Ausgangssperre draußen aufhält und dennoch zum „Revier” geschickt wird mit der Begründung, er habe eine Regel gebrochen. Davon abgesehen, dass die Szene die Willkür der national-sozialistischen Herrschaft darstellt, wird auch die herablassende Behandlung der Juden deutlich, da der Wachhabende, der Jakob zum Revier schickt, ihm befiehlt „seine gerechte Strafe” abzuholen für ein Vergehen, welches Jakob nie begangen hat und das vorgebliche Brechen einer Regel, die per se schon Menschenrechte verletzt.

Der Roman geht jedoch darüber hinaus, nur die Lebenssituationen der Juden zu beschreiben, in dem eine faszinierende Lüge ins Spiel gebracht wird. Die Lüge entsteht dadurch, dass Jakob erzählt, dass er ein Radio besitzt, da er durch diese schockierende Nachricht seinen Mitarbeiter Mischa davon ablenken konnte, Kartoffeln zu stehlen, seinen sicheren Tod. Zudem erzählt Jakob Mischa, dass die rote Armee ungefähr 600 km von ihrem Ghetto entfernt ist und somit Rettung naht. Die Kenntnis über das Radio und die Position der Russen verbreitet sich im Ghetto wie ein Lauffeuer und nun muss Jakob schaun, wie er seine Lüge aufrecht erhalten kann. Das Interessanteste an der Lüge ist nicht ihr Inhalt, sondern, was sie mit den Menschen macht, die sie hören. In einer so hoffnungslosen Situation wie die der Juden im Ghetto bewirkt so ein Funke Hoffnung weitreichende Veränderungen wie beispielsweise einen Rückgang der Suizidrate im Ghetto aber auch die Verlobung zwei junger jüdischen Ghettobewohner. Auch wenn es eine simple Lüge ist entfaltet sie im Ghetto eine sehr große Macht.

Persönlich fand ich den Roman hoch interessant und habe ihn sehr gerne gelesen, auch wenn ich bereits vieles über den geschichtlichen Hintergrund der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft wusste. Die Beschreibung, wie Menschen auf Hoffnung in trostlosen Situationen reagieren, ist sowohl herzzerreißend als auch schön, da man sich im Vorhinein denken kann, dass es für die Figuren kein Happy End geben wird. Vom Inhalt abgesehen fand ich den Roman aufgrund seiner Erzählstruktur etwas anstrengend zu lesen, da es keine Kapitelangaben gibt und die Existenz des namenlosen Erzählers mich anfangs verwirrt hat.

Die meiner Meinung nach wichtigste Entscheidung, die der Autor getroffen hat, ist, die Geschichte Jakobs hinter der Mauer der Fiktion darzustellen. Ohne die Realität der Ereignisse zu beschränken, lässt die Fiktion zu, auch reelle Grausamkeit darzustellen, ohne die Gefahr einzugehen nur einen wertungslosen nicht-fiktionalen Text zu schaffen. Dadurch kann der Tod einer Figur tragischer bzw. vergeblicher wirken als bei einer Nacherzählung realer Geschehnisse und somit die Verwegenheit und Grausamkeit deutlicher werden. Zudem kann so auch eine wertende Version von Ereignissen dargestellt werden, wobei die Bewertung essenziell für die Wirkung auf die Leser ist.

Abschließend lässt sich sagen, dass „Jakob der Lügner” ein sehr lesenswerter Roman ist, der die sowohl tragische als auch interessante Geschichte Jakobs auf faszinierende Art und Weise erzählt. Auch wenn die Struktur des Romans die ein oder andere Schwierigkeit bereit hält, ist es eine recht geringe Hürde für einen sehr gelungenen Roman.

Isabel Korus (10a)


Rezension 4: „Jakob der Lügner” von Jurek Becker

Der Roman „Jakob der Lügner” von Jurek Becker aus dem Jahr 1982 behandelt ein Dilemma zwischen einer Lüge, die das Leben vermeintlich besser macht, und der traurigen Wahrheit.

Der Autor wuchs selbst im Ghetto von Lodz in Polen zur Zeit des Nationalsozialismus auf und überlebte später die Konzentrationslager Ravensbrück und Sachsenhausen. Er erzählt die fiktive Geschichte vom Juden Jakob, der im Affekt, um seinen Freund davor zu retten, Kartoffeln zu klauen, ein Radio erfindet, aus dem er gehört hat, dass sich die Rote Armee auf dem Vormarsch Richtung Ghetto befände. Jakob schafft es daraufhin nicht, diese initiale Notlüge loszuwerden, und sieht sich gezwungen, den anderen Ghettobewohnern weiterhin Informationen vom Krieg zu erzählen, ohne jegliche Ahnung, was tatsächlich vorgeht.

Der Roman schafft es hervorragend, dieses Dilemma zuzuspitzen. Einerseits leben die Bewohner in vermutlich unberechtigter Freude, sie gehen davon aus, jeden Moment befreit zu werden, es wird aber weiterhin Straße um Straße deportiert. Andererseits kehrt der Lebenswille ins Ghetto zurück. Jakob fällt auf, dass weniger Suizide begangen werden, und die Leute machen keine törichten, gefährlichen Sachen mehr.

Der Roman ist sprachlich leicht zu lesen, was für mich das Leben im Ghetto realer und weniger abstrakt gemacht hat. Die Ungerechtigkeit und vor allem die Willkür der Nazis ist immer präsent.

Der Roman war für mich sehr fesselnd und insbesondere die Vaterrolle, die Jakob für das kleine Mädchen Lina übernimmt, gefällt mir sehr gut. Ihre Lebensfreude und Neugier kombiniert mit Jakobs Bemühungen um sie, während er auch sie anlügt beziehungsweise anlügen muss, macht die ganze Geschichte emotionaler und auch besser. Auch die sehr berührende Schlussszene lebt vom Charakter des Mädchens und ist für mich eine der besten im Roman.

Alles in allem ist die Geschichte von Jakob Heym auf jeden Fall lesenswert. Meiner Meinung nach ist es wichtig, dass sich auch heute noch alle Menschen mit diesem wichtigen Thema auseinandersetzen. Obwohl das Geschehen im Roman fiktiv ist, sorgt Jurek Becker mit seiner Nähe zur Wirklichkeit für Bewusstsein für die Verbrechen sowie dafür, dass über das Thema diskutiert wird. Speziell dieses Buch von Jurek Becker kombiniert das mit einer packenden Geschichte und sollte deswegen definitiv gelesen werden. 

Paul Mobascher (10a)


Rezension 5: „Jakob der Lügner” von Jurek Becker

Der Roman „Jakob der Lügner” von Jurek Becker wurde erstmals 1969 veröffentlicht. Für seine außergewöhnliche „optimistische Tragödie” gewann der Autor, der selbst seine Kindheit in einem Ghetto verbrachte, unterschiedliche Literaturpreise, wie unter anderem den Heinrich-Mann-Preis.

Das Buch spielt in der Zeit des nationalsozialistischen Deutschlands und erzählt die Geschichte des Juden Jakob Heym, der mit seinen Lügen einem ganzen Ghetto in der NS-Zeit vermag Hoffnung zu schenken.

Jurek Becker hat es geschafft, unterschiedlichste Themen wie Hoffnung und Perspektivlosigkeit, die Kraft der Fantasie und Zusammenhalt und Freundschaft in seinem Werk zu verarbeiten. In erster Linie aber dreht sich alles um Judenverfolgung in der NS-Zeit, das Leben in den Ghettos und die allgegenwärtige schreckliche Angst vor dem Tod.

Jakob war lange Zeit nur einer von vielen Juden in einem Ghetto, welches wie jedes andere durch Tod, Angst und Trauer gekennzeichnet ist.  Doch von einem Tag auf den anderen wird Jakob zum lang ersehnten Hoffnungsbringer. Durch Zufall erfährt er von der freudigen Nachricht, dass die Russen nur wenige hundert Kilometer entfernt sind. Plötzlich geht es um mehr, es gibt wieder ein Morgen, für das es zu überleben lohnt.

Damit seine Kameraden ihm aber überhaupt Glauben schenken, muss Jakob behaupten, ein Radio zu besitzen. Womit er aber nicht gerechnet hätte, ist, dass die anderen nun täglich neue Meldungen erwarten würden! Jakob muss also die Lüge aufrechterhalten, um seinen Mitmenschen Hoffnung zu schenken.

Abgesehen vom Thema, ist, was den Roman so interessant macht, die Erzählstruktur. Die Geschichte Jakobs wird nämlich nicht von ihm selbst, sondern von einem namenlosen Ich-Erzähler erzählt, der selbst aber auch ein fiktiver Bewohner des Ghettos ist. So kann der Leser von Zeit zu Zeit zwei Perspektiven auf eine Situation erlangen, was ab und zu etwas verwirrend ist, aber das Lesen doch auch gleich viel interessanter macht. Zusätzlich ermöglicht uns der Erzähler dadurch, dass er das Ghetto überlebt hat, nicht nur einen Einblick in das Leben im Ghetto in der Vergangenheit, sondern auch in die dem Erzähler gegenwärtige Zeit des Nachkriegsdeutschlands.

Es ist faszinierend zu sehen, in welch einfachen Worten Jurek Becker es schafft, solch schwere Themen in doch recht einfache Sätze zu verpacken. Flüssige Sätze, die treffende Wortwahl und eine klar strukturierte Handlung führen dazu, dass man sich nicht den Kopf zerbrechen muss darüber, was die Worte bedeuten, sondern sich mit dem beschäftigen kann, was dahintersteckt. Nicht umsonst wurde „Jakob der Lügner” in 23 Sprachen übersetzt und zweimal verfilmt. 

Der Autor schafft es sogar an einigen Stellen Komik einzubringen und den Leser hin und wieder zum Schmunzeln zu bringen.

Es zeigt wahrhaftig Talent, so viel Gefühl, Lebensweisheit und Moral vor dem Hintergrund solch schrecklicher Ereignisse wie der Judenverfolgung in Worte zu fassen.

Dabei spielen sicherlich auch die persönlichen Erfahrungen des Autors und seine Erinnerungen eine große Rolle. Jurek Becker, der 1937 in Lotz geboren wurde, verbrachte selbst seine Kindheit in zwei verschieden Konzentrationslagern. Beachtenswert ist auch, wie viel Optimismus Becker in seinem Werk zeigt und wie wenig er überhaupt auf dir Gewalttätigkeit und den Hass eingeht. Stattdessen geht der Autor vor allem auf die Menschlichkeit und Individualität der Ghetto-Bewohner im Sinne eines Gegenentwurfs ein. Das macht das Buch für mich persönlich so besonders.

Fakten und Daten darüber, wie viele Juden deportiert wurden, sind grausam und man findet sie überall, wenn man danach sucht, aber, auch wenn das Geschehen im Roman fiktiv ist, die Gedanken und Gefühle eines Juden in der NS-Zeit in einem Text zu erfahren, ist ein ganz anderes und einzigartiges Erlebnis. 

Ich persönlich habe mich zuvor schon mit dem Thema des Nazi-Deutschland, schulisch, aber auch privat beschäftigt und Bücher darüber gelesen. 

Was mich so an „Jakob der Lügner” anspricht, ist zum einen die interessante Erzählweise, aber vor allem, dass der Fokus auf den Beziehungen zwischen den Juden im Ghetto liegt. Mich berührt die Menschlichkeit und das große Herz Jakobs. Er nimmt all die Anstrengungen und Gefahren in Kauf, um seinen Freunden einen Funken Hoffnung zu schenken. Zusätzlich kümmert er sich noch herzerwärmend um das kleine Mädchen Lina, das ihre Eltern verloren hat und sich im Ghetto versteckt halten muss.

Auch seine Freundschaft zu Kowalski spricht von seinem guten Herzen. Es beeindruckt mich zu sehen, wie ein gemeinsames Schicksal solch unterschiedliche Menschen wie etwa Kowalski und Jakob doch zusammenschweißen kann.

Das Buch „Jakob der Lügner” ist eines der sehr wenigen Bücher, das ich jedem (abgesehen von kleinen Kindern) empfehlen würde. Ich denke, dass sich ein jeder mit diesem Thema beschäftigen sollte, und dieser Roman ist ein perfekter Einstieg dafür. Besonders für Jugendliche ist der Roman empfehlenswert, da er sich mit der Schilderung von Gewalttaten zurückhält, aber trotzdem die Zeit des Nationalsozialismus und die damit verbundenen Menschenrechtsverletzungen gut darstellt.

Malin Schäfer (10a)


Rezension 6: „Jakob der Lügner” von Jurek Becker

Der Roman „Jakob der Lügner”, geschrieben von Jurek Becker und erstmals veröffentlicht im Jahr 1969, handelt von dem Protagonisten Jakob Heym, der in einem fiktiven polnischen Ghetto lebt. Zufälligerweise erfährt er von Nachrichten, die er dann im Ghetto verbreitet und ausschmückt, um Hoffnung in das Leben seiner Mitbürger zubringen. Thematisch geht es viel um Nazideutschland und somit auch das Leben im Ghetto, aber auch, ob Lügen in manchen Situationen in Ordnung sind. Der Autor selbst war Jude und kann dem Leser so durch eigene Erfahrungen und Eindrücke einen tiefen Einblick in die Seele, Gefühle und das Leben der Ghettobewohner geben.

Jakob Heym, ein Jude in einem polnischen Ghetto, hört verbotenerweise, dass sich die rote Armee nur noch ein paar hundert Kilometer von seinem Ghetto befindet, welche ihn und seine Mitmenschen von der Deutschen Gewalt befreien soll. Um seinen Freund Mischa vor einer sinnlosen, aber lebensgefährlichen Dummheit zu bewahren, erzählt Jakob ihm davon und verleiht seiner Aussage Glaubwürdigkeit, indem er behauptet, dass er selbst ein Radio besäße, was wiederum im Ghetto verboten ist. Die Neuigkeit verbreitet sich unter den Menschen wie ein Lauffeuer und so kommen sie alle zu Jakob, um Neuigkeiten zu erfahren, die Mut machen und um die Welt auszuhalten, in der die deutsche Vernichtung der Juden betrieben wird. Mit mehreren Verwirrungen und Komplikationen verstrickt sich Jakob bis zum Ende hin mit Lügen, um den Menschen Hoffnung und Kraft zu geben. Einer der Bewohner opfert sogar sein Leben dafür, die durch Jakob gewonnene Hoffnung weiter zu verbreiten. Im Vergleich dazu sinkt jedoch die Selbstmordrate im Ghetto auf null.

„Jakob der Lügner” ist zwar kein sonderlich spannendes Buch, wird jedoch zum Ende hin sehr interessant. Auch der Einstieg war für viele nicht leicht, es ist eine andere Art des Schreibens und auch die Sicht des Erzählers kann verwirren. An manchen Stellen des Buches ist es stimmungsvoll, witzig und originell. Alle Charaktere sind authentisch geschildert und haben einen eigenen, unverwechselbaren Charakter, der sie sympathisch macht. Durch die authentische Art, in der der Leser mitgenommen wird in eine Welt, die nie hätte existieren sollen, wird man fassungslos. Und das, obwohl Jurek Becker fast vollständig auf die Darstellung von Grausamkeiten verzichtet hat. Er beschränkt sich auf die Lügengeschichten des Protagonisten, die für die Kraft der Hoffnung, Freiheit und Fantasie kämpfen. Auch wenn das sinnlos angesichts der vollzogenen Vernichtung der Juden erscheint, steht es als Zeichen der Menschlichkeit, welche Jakob Heym immer wieder zeigt, um seinen Mitmenschen das (Über-) Leben zu erleichtern. Es gibt aber auch freudige, berührende Szenen, wie die Liebe zwischen Mischa und Rosa oder die Geschichte Linas, dem aufgeweckten Mädchen, welches nie unglücklich scheint, obwohl seine Eltern schon deportiert worden sind. „Seit gestern ist morgen noch ein Tag” – dieses Zitat zeigt, wie viel man erreichen kann, wenn man die Hoffnung nicht aufgibt . Das Buch beschreibt sowohl auf ergreifende als auch auf fesselnde Art und Weise das Leben, die Willkür, die Hoffnungslosigkeit und die Gefühle im Ghetto.

Auf mich hat das Buch sehr authentisch gewirkt, da man von vielen schrecklichen Dingen und Verboten in dieser Zeit schon im Voraus Bescheid wusste, die dann im Roman auch erzählt wurden. Hinzu kommt, dass die Figuren durch ihre verschiedenen, aber glaubwürdigen Charaktere, das Leben im Ghetto sehr echt wirken haben lassen. Die Hürden und Bedenken der Ghettobürger sind ausdrücklich und verständlich beschrieben und trotzdem wird auch der Gegensatz von Grausamkeiten und Optimismus sehr gut dargestellt.

Ich denke, das Buch eignet sich vor allem für Menschen, denen es schwer fällt, sich angesichts der Grausamkeiten mit der Thematik rund um den zweiten Weltkrieg also nationalsozialistische Gesinnung, Ghettoisierung, Deportation, Zwangsarbeit usw. zu beschäftigen, da zwar die wichtigsten Fakten zu dem Umgang mit Juden im Ghetto erzählt sind, die größten Schrecken jedoch ausgelassen werden. Auch als Schullektüre hat es mir gefallen, weil es themenübergreifend zum Geschichtsunterricht passt und man sich so auch im Geschichtsunterricht alles noch einmal besser und lebhafter vorstellen kann.

Zusammengefasst ist es eine mitreißende Geschichte über ein wichtiges Thema, welches einen bleibenden Eindruck hinterlässt und zum Nachdenken anregt.

Jamilia Wensierski (10a)