Die Klasse 8c hat sich nach der gemeinsamen textnahen Lektüre der 1819 erschienenen Novelle „Das Fräulein von Scuderi" in Form einer arbeitsteiligen Gruppenarbeit mit den historischen Hintergründen und damit mit dem Verhältnis von Fiktion und Wirklichkeit in der Dichtung auseinandergesetzt. Einige Themen der Novelle wirken sehr modern und sind doch tiefergehend nur vor dem historischen Hintergrund zu verstehen: z.B. die Balance zwischen Freiheit und dem Wunsch nach Sicherheit in einer Gesellschaft, die Wirkung vorherrschender Machtstrukturen, die Entstehung psychischer Erkrankungen durch traumatische Kindheitserfahrungen und das Aufbrechen von Rollenbildern. Die folgenden Schülerbeiträge, die in der Klasse gemeinsam korrigiert worden sind, sollen einen kleinen Einblick in die Ergebnisse der Gruppenarbeiten und eine Art Lesehilfe zum „Fräulein von Scuderi" für interessierte Schüler:innen und vielleicht auch Eltern geben:
Thema 1: Die Novelle in drei ausgewählten „Bildern"
Anmerkung: Die Schüler:innen haben bedeutsame Szenen aus der Novelle frei gewählt, illustriert und in ihrer Funktion erklärt.
Bild 1, Sophia Saala
Der nächtliche Besucher
In der Szene klopft ein Unbekannter an die Tür des Hauses des Fräulein von Scuderi. Die Kammerfrau (Martiniere) ist mit dem Fräulein alleine im Haus, weshalb sie sich unsicher ist, ob es klug wäre, die Tür zu öffnen. Denn zu der Zeit, in der die Novelle spielt, ist das Öffnen der Tür bei Nacht nicht ungefährlich, da sich in Paris eine Mordserie abspielt. Doch auf das Flehen des Unbekannten hin öffnet die Martiniere nach langem Überlegen die Tür. Herein kommt ein verhüllter Mann mit dem Anliegen, dem Fräulein ein Kästchen zu überreichen.
Diese Stelle in der Novelle ist wichtig, da sie zu Beginn der Handlung steht. Es wird direkt eine spannende Atmosphäre aufgebaut, wodurch die Leser:innen dazu angeregt werden, so schnell wie möglich mehr erfahren zu wollen. Außerdem kommt die Scuderi durch das Kästchen, welches sie am nächsten Morgen erhält, in Berührung mit der Mordserie und somit stößt diese Szene viele der kommenden Ereignisse an.
Bild 2, Nika Dittebrand
Die Ermordung Cardillacs
In dieser Szene wird der Goldschmied Cardillac ermordet. Dieser hat in der besagten Nacht eigentlich vor, wie üblich, auf Streifzug zu gehen und sich den bereits verkauften Schmuck zurückzuholen von seinen nichts Böses ahnenden Kunden. Wer als Kunde Cardillac allerdings genau beobachtet und sein Verhalten richtig gedeutet hat, erwirbt einen Vorteil. Das gelingt Graf von Miossens und dieser verschafft sich durch einen Schutzharnisch eine Chance, sich gegen den mörderischen Angriff des Cardillac zu wehren, was den Goldschmied das Leben kostet.
Ich habe diese Schlüsselszene gewählt und gemalt, da Cardillac ermordet wird und somit die lange Mordserie gestoppt wird. Nach dieser Szene wird der Verdacht auf Brusson (Angestellter in der Goldschmiede von Cardillac und seit kurzem Verlobter seiner Tochter) gelenkt, da er Cardillac nach Hause gebracht hat, wo dieser dann gestorben ist. Brusson wird verhaftet, da er der vermeintliche Täter ist. Würde Cardillac nicht sterben, würde die Serie der Morde fortgesetzt. Die Ermordung des Cardillac ist der Auslöser für die in der Novelle folgende Aufklärung der Unschuld Brussons.
Bild 3, Elisabeth Burwinkel
Die Unschuldsbezeugung Oliviers
In der Szene wird Olivier Brusson, der des Mordes an Cardillac und allen anderen Opfern beschuldigt wird, zu dem Fräulein von Scuderi gebracht. Kurz davor hat er versprochen, vor dem Fräulein auszusagen. Als er in das Gemach hineingeführt wird und vor der Scuderi auf die Knie fällt, erkennt das Fräulein eine geliebte Person in ihm. Doch erst durch die Worte des Olivier, er sei der Sohn von Scuderis Pflegetochter Anne Guiot, versteht sie schlussendlich, wen sie wirklich vor sich hat. Daraufhin erzählt Brusson von seinem Leben und dem des Cardillac: Wie er bei Cardillac in die Lehre gekommen ist und wie er herausfand, dass Cardillac hinter der Mordserie steckt. Schließlich bittet er das Fräulein um ihre Hilfe, von der er sich erhofft, lebend aus der Situation zu kommen, ohne dass Madelon vom Doppelleben ihres geliebten Vaters erfahren muss.
Diese Szene gehört zu den wichtigsten in der Novelle, denn sowohl die Hauptfigur, also das Fräulein von Scuderi, als auch die Leser:innen erhalten Hintergrundinformationen und erfahren, wie sich alles in Wirklichkeit zugetragen hat. Erst nachdem das Fräulein diese Wahrheiten gehört hat, kann sie wirklich handeln und den Guten helfen.
Auch auf emotionaler Ebene ist dieses Treffen sehr wichtig, denn lange hat Olivier versucht, beim Fräulein Hilfe zu erhalten und vor allem von ihr erkannt zu werden. Und nun geht ihm dieser Herzenswunsch endlich in Erfüllung. Auch das Fräulein ist ganz berührt, ihren geliebten Enkel wieder zu sehen und zu erkennen, wer der zuvor als bedrohlich eingeschätzte „Fremde" wirklich ist.
Sophia Saala, Nika Dittebrand, Elisabeth Burwinkel
Thema 2: Historische Hintergründe - Die Zeit Ludwig des XIV.
Anmerkung: Die Novelle spielt im Herbst 1680. Madeleine von Scuderi ist eine angesehene Dichterin am Hof Ludwig des XIV. Die Projektgruppe hat zur Herrschaft Ludwig des XIV. recherchiert.
Frankreich im 17.Jahrhundert war eine absolutistische Monarchie mit Ludwig dem XIV. als König. Alle Staatsgewalt lag in seiner Hand.
In der Novelle wird König Ludwig als gutmütig und volksnah dargestellt, als ein Mann, der sich um die Probleme der Menschen kümmert. Er wird als aufgeklärter König beschrieben, doch die Realität sah damals deutlich anders aus:
Das Lebensziel Ludwig des XIV. war es, Frankreich zum mächtigsten, militärisch am besten aufgestellten und wirtschaftlich herausragendsten Staat der Welt zu machen - auf Kosten der armen Bevölkerung! Das schafft er auch. Überall mischt Frankreich ordentlich mit. Er hat den Eindruck, dass sich alles um ihn und Frankreich dreht - Ludwig hielt sich für den Mittelpunkt der Erde!
Durch den Spanischen Erbfolgekrieg (1701-1714) und durch den Bau des Prunkpalastes Versailles wird die Staatskasse endgültig leergefegt. Nie ging es der französischen Bevölkerung so schlecht wie nach 72 Jahren Herrschaft von Ludwig dem XIV. Trotzdem erlebte Frankreich damals auch eine kulturelle Hochphase. Der „französische Barock“ wird von vielen anderen Adelshäusern in ganz Europa übernommen: beispielsweise vom sächsischen Hof unterm „starken August“ (Kurfürst Friedrich August I.) oder auch vom preußischen Hof unterm „alten Fritz“ (Friedrich der Große). Französisch galt als DIE Sprache schlechthin. Am russischen Hof wurde mehr Französisch als Russisch gesprochen. Frankreich war damals richtungsweisend für die kulturelle Entwicklung Europas.
Allerdings war auch schon absehbar, dass das einfache Volk der Monarchie und deren Verschwendungssucht überdrüssig werden wird. So kommt es 75 Jahre nach Ludwigs Tod zum Sturm auf die Bastille und 1799 zur Machtübernahme durch Napoleon.
Georg Scheuermann und Georg von Schönburg
Thema 3: Historische und literaturgeschichtliche Hintergründe: Das Zeitalter der Aufklärung
Ernst Theodor Amadeus (E.T.A) Hoffmann (geb. 24. Januar 1776 in Königsberg) ist während des Zeitalters der Aufklärung geboren (1720-1800). Die Aufklärung bezeichnet ein Umdenken der Menschen und hängt auch mit der naturwissenschaftlichen Revolution im 16. und 17. Jahrhundert zusammen. Die Menschen begannen, nicht mehr blind die Denkweisen der Autoritäten (z.B. der Kirche) zu übernehmen, sondern entwickelten ihre eigenen Vorstellungen auf der Basis der Vernunft.
So nimmt die Scuderi, wie von Immanuel Kant ( geb. 22. April 1724 in Königsberg) gepredigt, nicht alles hin und will selber die Wahrheit über die Morde herausfinden. Die Scuderi ist eine Aufklärerin, wie sie im Buche steht! Das zeigt sich darin, dass sie sich in der Novelle für Freiheit in der Gesellschaft und Toleranz gegenüber anderen Menschen einsetzt. Zum Beispiel setzt sie sich für Olivier und dessen Freilassung ein, nachdem er ihr die Wahrheit erzählt hat. Das Fräulein von Scuderi setzt sich für Vernunft ein und ist nicht so leichtgläubig wie andere. In diesem Sinne ist sie auch eine aufgeklärte Figur, obwohl E.T.A. Hoffmann ein romantischer Autor ist.
Can Kaya, Elias Martel, Constantin Hummrich, Emilian Vogt, Frederick Schultz
Thema 4: Historische und literaturgeschichtliche Hintergründe: Die Epoche der Romantik
Die Romantik in der Novelle ,,Das Fräulein von Scuderi‘‘ wird an manchen Stellen besonders deutlich, zum Beispiel an der Schlussszene, zu der wir eine bildliche Interpretation gemalt haben.
Madelon und Olivier
Liv Thomas
In dieser Textstelle geht es darum, dass Olivier endlich für unschuldig erklärt wird und er seine Madelon wieder in die Arme schließen darf. Beide halten sich in den Armen und weinen.
In der Novelle wird die Liebe zwischen Madelon und Olivier beschrieben, die sich besonders darin zeigt, dass Olivier Madelon die wichtige Information verheimlicht, dass ihr Vater der Mörder ist, um sie nicht zu verletzen und sie vor dem Mitwissen zu schützen. Er glaubt, dass die Wahrheit über ihren Vater Madelon umbringen würde.
Das Zeitalter der Romantik wurde in drei Phasen aufgeteilt: Frühromantik, Hochromantik und Spätromantik. Die Novelle wurde im Jahre 1819 veröffentlicht und dies lag in der Zeit der Spätromantik.
E.T.A Hoffmann gilt auch heute noch als einer der wichtigsten deutschen Schriftsteller der Romantik und gehört zur Weltliteratur.
Maren Bischof, Merle Harreus, Liv Thomas, Ewa Rabe
Thema 5: Historische Hintergründe: Die Giftmorde von Paris
Im „Fräulein von Scuderi" findet kein einziger Giftmord statt, aber trotzdem wird das Thema „Giftmorde" in einem Rückblick ausführlich behandelt. Warum kommt die Geschichte der Giftmorde überhaupt in der Novelle vor?
Zum einen haben wir natürlich die allgemeine Stimmung, sowohl in der Bevölkerung als auch am Königlichen Hof, die der Autor zeigen möchte. Man ist sehr misstrauisch insgesamt seit der Zeit der Giftmorde und die Lage entspannt sich auch nicht wirklich mit dem Ende der Giftmorde. Die Juwelenmordserie knüpft an die Ereignisse um die Giftmorde an und das ebnet für einige Gegebenheiten den Weg. Dies zeigt uns E.T.A. Hoffmann.
Ein Beispiel dafür ist das Vorkommen der Chambre ardente in der Novelle. Dies ist ein Gerichtshof, der für die Verfolgung und Aufdeckung der Giftmorde verantwortlich war und auch mit den Juwelenmorden vertraut ist. Die Chambre ardente stellt eine Grundlage für ein Rechtssystem dar, das auch im Werk Hoffmanns sehr wichtig wird. Das System ist sehr grausam und ist z.B. bei dem Erzwingen von Geständnissen aus heutiger Sicht mehr als fragwürdig, da man durch Folter die Verdächtigen dazu brachte zu gestehen, auch wenn sie keine Verbrechen begangen hatten.
Die Giftmorde verstärkten auch einen gewissen Unmut der Bevölkerung gegenüber dem Königshof, da dieser Schauplatz der Giftmorde war. Dies gilt, auch wenn Ludwig der XIV. in der Novelle insgesamt eher als gütig und fürsorglich dargestellt wird.
Noah Schäfer, Till Hofmann, Julius Friedel, Baris Tarhan, Kevin Imfeld, Merdan Dalmann, David Eckart
Thema 6: Recht- und Rechtsprechung in der Novelle, Methoden der Justiz und Polizei
Zu Beginn wird in der Novelle von einer Serie von Giftmorden berichtet, die mit einem Gift vollbracht wurden, das geruchlos und geschmacklos war. Wenn man es einatmete, sank man sofort tot zu Boden. Die Bürger waren in Angst und Panik versetzt. Niemand wusste, wem er noch trauen konnte. Nach einiger Zeit ernannte der König einen eigenen Gerichtshof, der sich ausschließlich auf die Aufdeckung der Giftmorde konzentrierte (Name des Gerichtshofes: Chambre ardente). Das Gericht bekam vom König eine große Handlungsfreiheit und richtete jeden hin, der auch nur in irgendeiner Form verdächtig war. Es wurden Hunderte von unschuldigen Menschen getötet. Die Richter brauchten also keine eindeutigen Beweise, um die Menschen hinrichten zu lassen. Die Todesstrafe wurde am Galgen vollstreckt, später auch mit der Guillotine.
Die Schilderungen Hoffmanns in der Novelle unterscheiden sich nicht stark von der damaligen Justiz in der Realität. Zwar konnten Menschen nicht einfach so hingerichtet werden, allerdings wurde die Todesstrafe sehr häufig verhängt, z.B. für folgende Straftaten: Mord, Brandstiftung, Vergewaltigung, Entführung, Diebstahl, Verrat, Vergiftung, Zauberei. Natürlich gab es nicht nur diese tödlichen Strafen: Es gab auch Freiheitsstrafen, Ehrenstrafen, Geldstrafen und Verstümmelungsstrafen. Ehrenstrafen sollten den Straftäter demütigen und bei Verstümmelungsstrafen wurden einzelne Körperteile entfernt. Damit wurden beispielsweise kleinere Diebstähle bestraft.
Felix Faatz, Nico Born, Luca Peil
Thema 7: Das Fräulein von Scuderi - ein Detektivroman?
Zuerst müssen wir anmerken, dass „Das Fräulein von Scuderi“ kein Roman, sondern eine Novelle ist. Denn diese Geschichte ist einerseits reduziert geschrieben, enthält also weniger Charaktere und zeigt eine kurze/mittlere Länge, und andererseits hat E.T.A. Hoffman das Erzählte nicht chronologisch verfasst. Außerdem gibt es in einer Novelle oft ein bedeutendes Dingsymbol, was in diesem Fall das Kästchen mit dem Schmuck ist:
Das zentrale Dingsymbol in der Novelle
Liv Thomas
Zunächst haben wir uns gefragt, was eine Detektivgeschichte ausmacht. Eine Detektivgeschichte ist ein ewiges Katz- und Mausspiel mit vielen falschen Fährten und handelt v.a. von der Jagd des Mörders. Im Gegensatz dazu handelt ein Kriminalroman von den Alibis, Geschichten und Motiven der vielen Verdächtigen. Außerdem ist der Ermittler in Krimis zumeist der Polizei zugehörig. Doch was trifft nun auf „Das Fräulein von Scuderi“ zu?
Unserer Fazit ist: „Das Fräulein von Scuderi“ ist nichts von beidem eindeutig, also weder Detektivgeschichte noch Kriminalroman. Man könnte es aber als einen Prototypen der Detektivgeschichte anerkennen, da die Figur der Scuderi Erkundigungen zum Fall einzieht. Anzumerken ist, dass das „Das Fräulein von Scuderi“ sehr fortschrittlich für seine Zeit ist: Das Frauenbild ist modern, die Scuderi aufgeklärt und wir haben eine weibliche Ermittlerin, zumindest im Ansatz.
Lore Drephal und Greta Metzendorf
Thema 8: Die Darstellung des Wahnsinns in der Novelle
Der Wahnsinnige in der Novelle ist René Cardillac: Tagsüber ist er erfolgreicher Goldschmied und angesehener Bürger; nachts jedoch verspürt er unwiderstehliches Verlangen nach dem tagsüber verkauften Schmuck und ist sogar bereit zu morden, um ihn zurückzubekommen.
Das könnte man als eine Form der dissoziativen Identitätsstörung sehen, bei der Betroffene zwei Persönlichkeiten haben. Diese Menschen können sich in einer Persönlichkeit nicht an die Taten der anderen erinnern.
Hier liegt aber ein Unterschied zu Cardillac vor, der sich tagsüber an alle seine nächtlichen Taten erinnert und auch Reue empfindet. Auch weigert er sich, Menschen wie dem König Schmuck zu verkaufen, aus Angst ihn umbringen zu müssen.
Cardillac verdankt seine Persönlichkeitsstörung in der Novelle einer frühkindlichen traumatischen Erfahrung, die wir hier aber nicht verraten wollen.
Johannes Langner, Tobias Galon, Liara Siedler