„The way out is the way in“
Exkursion in die Kunsthalle Mainz anlässlich des UNESCO-Welttages der Philosophie
„Alles hängt mit allem irgendwie zusammen“ – so hätte der Titel der Ausstellung von Joachim Koester auch lauten können, die der Philosophiekurs der Jahrgangsstufe 11 am 25.06.2021 besuchte. Das kann man nun esoterisch und banal finden oder aber erkennen, wie ähnlich doch viele Gegenstände einander sind, wenn man sie genauer oder eben ganz absichtlich ungenauer betrachtet.
So ähnelt z.B. die Schule einerseits – und aus der Wunsch-Perspektive vieler Lehrer:innen – einem Ameisenhaufen oder einem Bienenstock. Andererseits könnte man sie – aus dem Blickwinkel geplagter Schüler:innen – stattdessen auch für ein Haifischbecken oder eine Schlangengrube halten. Ist das schon wieder zu einfach?
Der Künstler Joachim Koester, den die Teilnehmer:innen des Philosophiekurses nach einem geführten Ausstellungsrundgang durch die Kunsthalle auf Englisch mit Fragen löchern durften, antwortete oft auch ganz schlicht und einfach. Zum Beispiel gab er gerne zu, sich nur an der Ähnlichkeit von äußerer Form und Körperhaltung orientiert zu haben, als er einen Kaktus neben dem Photo einer Gottesanbeterin platzierte.
„Alles ist mit allem vernetzt.“ lautet unter anderem sein künstlerisches Credo, demgemäß er auch im größten der Ausstellungsräume einem bunt auf den Boden geklebten Planetensystem (Mercury – Mars – Saturn – Jupiter – Venus - The Sun – The Moon – Starry Sky[sic!]) Leihobjekte aus dem Mainzer Naturhistorischen Museum assoziativ zugeordnet hat: Pflanzen, verschiedenfarbige und -gestaltige Gesteinsbrocken, etc.
Auf den ersten Blick erscheint das ziemlich beliebig zu sein. Und so künstlerisch anspruchslos, dass man einmal wieder (wie so oft bei moderner Kunst) hätte denken können: Das kann ich auch!
Doch je mehr der Künstler sein Kunstwerk erläuterte, desto klarer wurde gleichfalls wieder einmal, dass es eben bei moderner Kunst weniger auf das Machen-Können als vielmehr auf das Sehen-und-Erkennen-Können ankommt. Und auch darauf, Ähnlichkeiten aufzuzeigen, wo man als Betrachter:in zunächst keine sieht. Und plötzlich erkannten und sahen wir es: Das Kleine ist mit dem Großen verbunden: die Steine und Pflanzen ganz unten mit den Planeten ganz oben…
Zu simpel? Schon Aristoteles sprang vom Inneren des Menschen ganz einfach in den Kosmos, weil ihm aufgefallen war, dass dort ähnlich hebelartige Gesetzmäßigkeiten herrschen wie beim menschlichen Bewegungsapparat. So verglich er das Heben eines Armes mit dem Prinzip, nach dem die Planeten sich offenbar im Weltall bewegen. War Aristoteles ein banaler Vereinfacher von eigentlich hochkomplexen Zusammenhängen oder ein genialer Seher von Analogien?
Diese Frage hatte die Philosophieprofessorin Annika Schlitte von der Universität Greifswald in ihrem interaktiven Vortrag, mit dem sie die Schüler:innen des SMG anschaulich und begreifbar auf die Ausstellung einstimmte, indirekt ungefähr so beantwortet: Um zu philosophischen Erkenntnissen zu kommen, braucht man beides zugleich: das Sehen einfachster Ähnlichkeiten und kompliziertester Bezüge.
Ganz konkret zeigte Frau Professorin Schlitte dies an zwei Beispielen auf: Einerseits wird einem durch die Beschäftigung mit Fledermäusen klar, dass wir uns nicht einmal annähernd in sie hineindenken können – mögen wir uns auch noch so anstrengen: Sie bleiben uns fremd und unverständlich. Im anderen Beispiel ging es um den nackten französischen Philosophen Jacques Derrida im Badezimmer, der sich vor seiner Katze schämte, weil sie ihn bei der Körperreinigung beobachtete.
Nun könnte man einwenden, dass Derrida zur Vereinfachung etwas in die Katze hineininterpretierte, was nicht vorhanden ist: ein menschenähnliches Schauen und Empfinden. Aber: Wissen wir denn, was die Katze wirklich denkt, wenn sie den nackten Menschen sieht? Ob sie nicht ganz einfach folgenden Gedanken hat: „Hoffentlich zieht sich das haarlose Wesen bald wieder sein buntes Fell an!“
Für die Philosophieschüler:innen des SMG im Besonderen und für den modernen Menschen im Allgemeinen scheint der sehr lohnende Ausflug in die Mainzer Kunsthalle also am Ende folgende zwiespältige und zweifache Erkenntnis geliefert zu haben:
„Hüte Dich vor zu starker Vereinfachung und sei Dir immer dessen bewusst, dass Du nur einen kleinen Teil der Wahrheit sehen kannst!“
„Hüte Dich davor, die Dinge allzu kompliziert zu sehen (auch angesichts der Konkurrenz mit Künstlicher Intelligenz, die ohnehin schlauer ist als Du!) und bewahre Dir den Blick auf das Einfache und Ähnliche!“
Das war jetzt zu umständlich? Na gut, man kann diese Erkenntnis auch simpler haben, indem man (auch als Antwort auf die Frage Immanuel Kants „Was kann ich wissen?“) einen der banalsten Sätze der Philosophiegeschichte (angeblich aus dem Mund des Sokrates) zitiert, der deshalb aber nicht weniger wahr ist – und vor allem wesentlich komplexer, als er vielleicht erscheint:
„Ich weiß, dass ich nichts weiß.“
C. Merklein
Vor der Kunsthalle in Mainz
ganz rechts: Stefanie Böttcher (Leiterin der Kunsthalle Mainz);
zweite von rechts: Prof. Dr. Annika Schlitte (Universität Greifswald);
dritter von rechts: Joachim Koester (Künstler)
In der Ausstellung
In der Ausstellung