Liebe Schüler*innen des SMG,

zuallererst freue ich mich, euch auf diesem Weg einen lieben Gruß aus Göttingen an das SMG Ingelheim senden zu dürfen: Die Schule, in der ich nicht nur von 2003 bis 2012 Unterricht hatte, sondern an die ich unglaublich viele, großartige Erinnerungen habe. Neben der Arbeit als Schülersprecher im Schülervertretungs-Team mit vielen Freunden, mit denen ich heute noch engen Kontakt habe, bleiben mir natürlich auch Ereignisse wie Unterstufendiscos, Kursfahrten und zahlreiche Abifeiern in bester Erinnerung. Dass ich mich im Schulsanitätsdienst engagiert habe, war für mich damals eher Nebensache. Im Rückblick legte ich mit dieser Entscheidung aber vermutlich den Grundstein für die kommenden Jahrzehnte. Aber von Anfang an…

In etwa 6 Monaten ist es 10 Jahre her, dass ich in der Bibliothek des SMG über meinen schriftlichen Abiturprüfungen saß und für einen kurzen Moment darüber nachdachte, wie weit entfernt dieser Augenblick die vorherigen 13 Jahre doch immer schien. Ich wusste, dass der Moment eines Tages kommen würde, aber es schien immer noch so ein weiter und schwieriger Weg. Doch schon kurz darauf merkte ich, dass von mir im Großen und Ganzen verlangt wurde, worauf man Schritt für Schritt vorbereitet wurde und dass all das alles andere als eine unlösbare Aufgabe war. Ich hatte ja keine Ahnung, dass diese Gedanken und das Wissen darum mich das nächste Jahrzehnt begleiten und mir weiterhelfen würden.

Nachdem die Abiturprüfungen also bestanden waren, zogen die ersten Freunde in Universitätsstädte oder machten sich auf den Weg, die Welt zu bereisen. Ich hatte mir in den vorherigen Monaten überlegt, dass ich gerne Medizin studieren möchte. Mich faszinierte die Idee, zu verstehen, wie unser Körper aufgebaut ist, wie er funktioniert und wie man davon ableiten kann, anderen Menschen zu helfen. Ein Studium direkt im Anschluss an das Abitur kam für mich jedoch nicht in Frage und da mir auch trotz guten Medizinertestes der Notendurchschnitt für eine freie Wahl des Studienortes und -zeitpunktes fehlte, fiel mir die Wahl nicht schwer, mit einem freiwilligen sozialen Jahr zu beginnen. Dies absolvierte ich beim Rettungsdienst des Deutschen Roten Kreuzes. Diese Entscheidung kann ich jederzeit weiterempfehlen. Eine lehrreiche Zeit, die mich absolut darin bestätigte, alles dafür zu geben, einen Studienplatz zu ergattern. Da dies jedoch nahezu ausschließlich über die Wartezeit gelingen konnte, brauchte ich eine kurzweilige Zwischenlösung.

Der Vertrag für eine hauptamtliche Stelle und eine Berufsausbildung zum Rettungsassistenten war bereits unterschrieben, da bekam ich einen Brief von der zentralen Vergabestelle für Medizinstudienplätze. Ich dürfe in vier Tagen in Göttingen anfangen, Medizin zu studieren. Neben initialen Jubelschreien stellten sich mir relativ schnell Fragen wie „Wo wohne ich dort?“, „Schaffe ich das überhaupt?“, „Werde ich da neue Freunde finden?“ und „Warum Baden-Württemberg?“. Letztere Frage konnte ich schnell mit einem Blick in GoogleMaps beantworten. Göttingen liegt in Niedersachsen. Trotzdem…

Ich setzte mich am kommenden Tag in ein Auto und fuhr nach Göttingen. Jede 100 km stieg die Aufregung. Im Nachhinein weiß ich, dass meine Aufregung nichts im Vergleich zu der meiner zu Hause bangenden Familie war. Aber das Wissen hätte mir auch damals nicht wirklich weitergeholfen. In Göttingen angekommen, wurde ich am Hörsaal, an dem ich mich am ersten Tag einfinden sollte, von Tutoren begrüßt, die mich aufnahmen, als kannten wir uns schon seit Monaten. Alles war organisiert. Mir wurde bewusst, dass ich mein Schicksal ja mit 200 anderen Studierenden, die ebenfalls heute ihren ersten Tag hatten, teilte. So nahmen die ersten Wochen des Studiums ihren Lauf. Immer begleitet von den neuen Kommiliton:innen aus ganz Deutschland und der Welt. Aus vielen Bekanntschaften wurden echte Freunde. Aus einem sogar mein späterer Trauzeuge.

Die nächsten 7 Jahre studierte ich also Medizin. Zunächst vier Semester Grundlagen wie Anatomie, Physiologie und Biochemie, anschließend Krankheitslehre in allen medizinischen Fachrichtungen, die man sich vorstellen kann. Immer begleitet von Praktika, Hospitationen und zum Schluss einem praktischen Jahr. Das praktische Jahr stand in meinem Fall leider im Zeichen der Corona-Pandemie. Einerseits musste von Unterricht in Kleingruppen wie Ultraschallkursen abgesehen werden. Andererseits stellte die Pandemie bekanntlich das gesamte Gesundheitssystem vor eine gewaltige Aufgabe. Wir wurden im Rahmen dessen voll eingesetzt und konnten unter Beweis stellen, dass wir eine gute Ausbildung absolviert hatten, und uns bereitwillig anbieten, unseren Teil zur Bewältigung der Pandemie beizutragen.

Schließlich legte ich 2020 die finale Prüfung, das medizinische Staatsexamen, ab. Insgesamt war dieses Studium interessanter und facettenreicher, als ich es mir jemals hätte vorstellen können. Natürlich gab es Zeiten, in denen intensiv gelernt wurde oder einfach täglich im Praktikum Fertigkeiten erlernt und geübt wurden. Aber entgegen dem Klischee bleibt im Medizinstudium auch noch genügend Zeit, seine Freizeit in Kneipen, Clubs oder einfach am See zu genießen. Denn auch das ist ein wichtiger Teil des Studierendenlebens. Und in Göttingen wird einem das besonders leicht gemacht. Ich kann es also nur empfehlen.

Heute arbeite ich als Arzt in der Uniklinik Göttingen in der Abteilung für Nephrologie und Rheumatologie. Die Arbeit macht mir Spaß und ich blicke gerne auf die letzten 10 Jahre zurück. Natürlich hatte ich an dem Tag in der Bibliothek des SMG vor fast 10 Jahren keinen blassen Schimmer, wo ich heute sein werde und was ich machen würde. Aber genau das ist doch das Spannende. Es muss nicht immer alles geplant sein. Manchmal ergeben sich Gelegenheiten und manchmal ist es einfach Zufall. Aber wann immer eine große Aufgabe vor mir stand (erster Tag beim Rettungsdienst, Zwischenprüfungen, Praktika in einem neuen Krankenhaus, Examen, erster Arbeitstag…), dachte ich an den Augenblick in der schriftlichen Abiturprüfung: Vorher wirken diese Momente so schwierig und manchmal auch unlösbar. Doch wenn man sie annimmt, kann man sie eigentlich immer bewältigen. Das habe ich aus Schule und Studium gelernt.

Zum Schluss möchte ich natürlich die Gelegenheit nicht verpassen, für das Studienfach Humanmedizin und den Arztberuf Werbung zu machen. Falls ihr dazu Fragen habt, könnt ihr euch gerne bei Frau Pertgen (pertgen@smg-ingelheim) melden. Sie wird mir eure Fragen weiterleiten. 

Ganz herzliche Grüße nach Ingelheim und euch alles Gute auf eurem eigenen Weg!

Tim Wilhelmi